OB-Wahl, Gießen – Rede zum Nominierungsparteitag

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, sehr geehrte Damen und Herren, verehrte Gäste!

Auf den heutigen Parteitag habe ich mich sehr gefreut. Auf meine offizielle Bewerbung, auf diesen Startschuss für den Wahlkampf um das Oberbürgermeisteramt von Gießen habe ich gewartet. Ich stehe heute hier voller Tatendrang, Ideen und Gestaltungswillen. Davon will ich Euch jetzt erzählen.  – – –

Das Amt des Gießener Oberbürgermeisters hat für mich eine große Strahlkraft entwickelt. Und dafür gibt es zwei Gründe. Der eine Grund findet sich in unserer Stadt Gießen selbst. Der zweite hat etwas mit dieser Zeit zu tun und mit den gesellschaftlichen und politischen Aufgaben, die sich uns gerade richtungsweisend stellen.

Gießen – Urbanität in Überschaubarkeit

Ich fange mal mit unserer Stadt an. Dürfte ich mir eine Stadt backen, in der ich Oberbürgermeister sein möchte, ich denke, es käme so etwas wie Gießen heraus. Und das ist umso bemerkenswerter, als ich ja so ein Gießen-Klassiker bin: vor 27 Jahren zugezogen mit Widerstand und Skepsis. Wenn man von einer Stadt aus der Kindheit nur die Augenklinik kennt, macht sie das nicht so sehr attraktiv. Und ganz ehrlich, 1994 war der Gang durch den Seltersweg noch nicht sehr euphorisierend. Ich bin nicht der Typ, der Zuckerbäcker-Ambiente sucht. Ich weiß eine Stadt mit ehrlichen Gebrauchs-Spuren des Lebens und der Geschichte zu schätzen. Aber ein wenig schön und gefühlt lebenswert darf es schon sein.

Wenn man dann aber in Gießen bleibt – und das tun ja n nicht wenige Zugezogene –  dann gewinnt man jene zweite und dritte Blicke für diese Stadt, entdeckt ihre versteckte Schönheit, sieht, wie sie sich entwickelt und man wächst in diese aufgeschlossene Stadtgesellschaft hinein. So ist es mir ergangen. Ich habe mit meiner Frau und meinen drei Kindern alle Themen, Institutionen und Orte durchlaufen, die zu einer Familienbiographie gehören: Babyschwimmkurs, Krabbelgruppe, Kita, Schule(n), Musikschule und Sportvereine, habe am Rande von Judomatten, Fußballfeldern und Reithallen meine Zeit verbracht und dabei Menschen getroffen und viele Freund gefunden.

Und Gießen hat sich in den letzten 20 Jahren erkennbar verändert und entwickelt – nicht nur im Seltersweg, aber auch dort – und an der Lahn, in meiner Nordstadt habe ich daran mitgearbeitet, am Schwanenteich, aber auch im Westen, Süden, Osten hat sich vieles entwickelt und es geht ja weiter.

Gießen hat alles, was es zu einer echten Stadt braucht – nur etwas kleiner. Gastronomie, Geschäfte, Kultur, Infrastruktur, Gewerbe, Interkulturelles Leben. Gießen pulsiert jung. Gießen ist verbunden mit der ganzen Welt – über Wissenschaft, Einwohnerschaft, Flüchtlinge, Städtepartnerschaften. Ich habe das vor einiger Zeit als „Urbanität in Überschaubarkeit“ beschrieben. Weil – das gehört auch zu Gießen – man kennt sich, man trifft sich, ich kann nicht wirklich unbemerkt über den Wochenmarkt schlendern. Gießen ist dann auch wieder sehr überschaubar. Deshalb: „Urbanität in Überschaubarkeit“

Und Gießen hat kurze Wege – auch kurze Wege in wunderschöne Landschaft. Man muss nicht weit radeln und glaubt sich in einem Urlaubsgebiet.

In dieser Stadt kannst du jugendlich feiern gehen, du kannst mit Deiner Familie einen guten Platz finden, Du kannst hier auch gut alt werden. Gießen ist eine tolle Stadt – und ich möchte ihr Oberbürgermeister werden. – – –

Zeit herausfordernder Umbrüche

Der andere Grund, der mich so sehr in dieses Amt lockt, hat etwas mit der Zeit zu tun, in der wir gerade leben. Wir befinden uns, so jedenfalls meine Wahrnehmung, in einer Zeit großer Umbrüche – manche sind vielleicht auch nur deshalb so groß, weil die Zeit inzwischen drängt. Und diese Umbrüche fordern uns als Stadtgesellschaft und sie fordern uns in der Politik. Ohne Frage ist uns mit dem Klimawandel ein Thema auf die Tagesordnung gekommen, auf das wir in dieser Stadt u.a. mit einem Beschluss zur Klimaneutralität reagiert haben. Und wir sind auch bisher nicht untätig gewesen, bei der Suche nach einer Politik, die sich einer Nachhaltigkeit verpflichtet. Fairer Handel und emissionsarme Busse gehören genauso dazu, wie Wärmedämmung von Gebäuden oder Naturschutzmaßnahmen. Nicht ohne Grund wurde vor wenigen Tagen die UN-Agenda 2030 zu Nachhaltigen Entwicklungszielen auf Beschluss des Stadtparlaments unterzeichnet.

Die Zeichen der Zeit sind erkannt und trotzdem, oder gerade deshalb, liegt viel Arbeit vor uns. Wir erleben das in Gießen ganz aktuell zugespitzt im Verkehrsversuch Anlagenring. Vielleicht ist sich die Stadtgesellschaft zur großen Aufgabenstellung dahinter einig. Aber auf dem Weg dorthin sind wir vor viele Zielkonflikte gestellt. Wie gestalten wir Übergangszeiten?  Wie helfen wir, Verhaltensänderungen zu initiieren? Wir gehen wir den Weg schnell genug? Wie halten wir Gießen gleichzeitig als Handelsort gut erreichbar?

Und der Aufgabenkatalog geht weiter. Wie bleiben wir bei allen notwendigen Umsteuerungen sozial orientiert? Wie kommen wir zu genug bezahlbarem Wohnraum, ohne alles zu versiegeln? Das ist neben der Klimaneutralität die zweite große Herausforderung, mit höchster gesellschaftspolitischer Bedeutung – bezahlbarer Wohnraum für alle.

Und wie gelingt uns dazu die Gestaltung eines dynamischen Digitalisierungsprozesses in unserer Stadt, eine Basisaufgabe für die kommenden Jahre. Klar, will ich bim Seltersweg durchgängig verfügbares W-Lan. Und wer sich am Mittwoch den Sachstand zum Verkehrsentwicklungsplan 2035 hat digital vorstellen lassen, der konnte in den sehr interessanten Ausführungen von Prof. Dr. Jörg Pfister von der THM hören, wie sehr Lösungswege in der Verkehrsgestaltung auf eine gute digitale Infrastruktur angewiesen sein werden.

Oder das Thema ganz herunter gebrochen:

Die AWO-Kita in der Marshallsiedlung, unser großartiger Preisträger beim Deutschen Kita-Pries 2021 – herzlichen Glückwunsch von dieser Stelle –    ist ein Beispiel dafür. Denn ein Teil des gelobten Konzepts ist die Heranführung der Kinder an digitale Kompetenz. Ich war viele Jahre intensiv als kirchlicher Träger mit der Entwicklung von Kitas befasst – und eher skeptisch, das zu früh pädagogisch zu integrieren, war eher auf der Suche nach „analogen Freiräumen“. Wenn ich jetzt aber sehe, welche verspielte Freude darin steckt, wenn die Kinder gemeinsam in der Kita die Tiere mit Beinen und Pfoten zum Laufen erwecken, dann hat das eben auch eine andere Qualität, als das Daddeln am eigenen Handy, das viel zu früh in ihren Händen aller Kontrolle entzogen ist. So sehen die großen Fragen und Aufgaben, vor die wir gestellt sind, am Ende nämlich ganz konkret und alltäglich aus. Und ich freue mich über alle, die sich dieser Aufgabe stellen – wie es diese tolle Kita tut. – – –

Handlungsperspektiven – die gerechte, die grün-nachhaltige, die produktive Stadt

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Gäste, wie will man in herausfordernden Zeiten den Überblick behalten? Wie das Wichtige vom Unwichtigen trennen und wie zu den richtigen Entscheidungen kommen? Genau diese Aufgabe wird sich mir im Rathaus nebenan stellen.

Ich finde in der im November 2020 verabschiedeten Neuen Leipzig Charta ein Dokument, dem dieses Strukturieren und Sortieren der anstehenden Aufgaben ganz gut gelingt und das dazu sehr wichtige Handlungsanleitungen liefert. Zum besseren Verständnis: In der Neuen Leipzig Charta wurde auf informeller Ministerebene ein Rahmen für eine gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung für Deutschland und Europa verabschiedet.

Als grundlegende Handlungsanleitung für moderne Stadtentwicklung werden da zwei Prinzipien hervorgehoben: Beteiligung und Kooperation. Gemeinwohlorientierte Stadtentwicklung braucht Beteiligung auf allen Ebenen und muss sich in Kooperation sehr unterschiedlicher Akteure vollziehen.

Auf diese beiden Formulierungen springe ich sehr an. Denn ich finde darin genau das wieder, was mir in meiner Arbeit als Oberbürgermeister von großer Wichtigkeit sein wird.

Kooperation

Wir brauchen, um auf die Anforderungen gut zu antworten, einen deutlich kooperativ geprägten Politikstil. Mich interessiert zuerst, wie wir im Sinne der Bürgerinnen und Bürger Lösungen finden und umsetzen und dafür alle vorhandenen Kompetenz zusammenführen – über Dezernatsgrenzen hinweg, über Parteigrenzen hinweg, im Zusammenwirken von Verwaltung und Politik, von Politik und Bürger_innen. Im Zusammenwirken von Verwaltung und Bürger_innen.  Wo sich dazu schon gute Ansätze etabliert haben, werde ich das unterstützen. An anderen Stellen möchte ich es auf den Weg bringen. Wir brauchen integrierte und integrierende Verfahren, weil wir keine Perspektive liegen lassen können, wenn wir zukunftsfähige Antworten finden wollen. Und zukunftsfähige Antworten verlangt uns auch das wichtige Thema der Innenstadtentwicklung in unserer Handelsstadt ab. Und da muss ich unter dem Stichwort Kooperation natürlich einen Blick auf die BIDs werden, die in Gießen dazu modelhaft auf den Weg gegangen sind. Sie sind in sich Kooperation und sie bieten Kooperation an, um neue Ideen für die Innenstadtentwicklung zu befördern. Große klasse!

Und ich bringe aus der kirchlichen Verwaltung und der kirchlichen Organisationsentwicklung, in der ich mich 16 Jahre bewegt habe, eine weitere interessante Erfahrung mit. Wir haben in Gießen die erste übergemeindliche Trägerstruktur für Kitas gebaut. Und wir sind dabei in allen Satzungen, Gremien, Arbeitsgruppen und in der praktischen Arbeit dem Prinzip gefolgt, dass alle Blickwinkel immer am Tisch sein müssen: Eltern, Erzieher/Erzieherinnen, Leitung, Pfarrdienst, Verwaltung und Rechtsträger – die Kinder dann eher auf der praktischen Ebene vor Ort. Das hat Diskussionen und Entscheidungen nicht immer einfacher gemacht. Aber wir haben uns kennen gelernt und voneinander gelernt – und haben unter dem Strich Zeit gespart und tragfähigere Lösungen gefunden, weil die Bedenken nicht immer wieder als Störfeuer nachgereicht wurden. Und das hat Spaß gemacht. Ich erzähle das, weil darin erkennbar wird, wie ich kooperative Lösungen denke und dass ich weiß, wovon ich spreche.

Ich möchte diesen Ansatz im Rathaus und außerhalb des Rathauses pflegen. Denn das gleiche gilt für die Moderation der unterschiedlichen Interessengruppen in unserer Stadtgesellschaft. Und da werden wir spannende Gesprächsgänge vor uns haben, da bin ich sehr sicher.

Beteiligung

Vor diesem Hintergrund wird es euch nicht wundern, dass ich die Weiterentwicklung der Bürger_innenbeteiligung in unserer Stadt für eine zentrale Aufgabe halte. Wir haben da in Gießen ja mit unserer Bürgerbeteiligungssatzung gut vorgelegt und gleichzeitig erfahren, dass es rechtlich nicht unkompliziert ist. Wir haben Stadtteilgremien in drei Quartieren, haben Beteiligung in Planungsprozessen wie der der Altenhilfeplanung oder Wohnbauversorgung etabliert.  Ich sehe uns gefordert, auch zur Demokratiesicherung, Bürger_innenbeteiligung in unserer Stadt ständig weiter zu entwickeln. Da sind spannende Vorschläge im Raum, von mehr digitalen Möglichkeiten bis hin zum repräsentativ und zufällig ausgewählten Bürgerrat zur Themenberatung. Ich sehe aber eben auch eine dringende Notwendigkeit, nah an und in den Quartieren Formen zu finden, in denen Interessen formuliert und politisch angeschoben werden können. Immer wird es große Klarheit brauchen, welche Kompetenzen mit einer Beteiligung ernsthaft verbunden sind und es wird ehrliche Rechenschaft brauchen, was aus den Vorschlägen geworden ist. Da stehe ich bis heute unter dem positiven Eindruck der Bürgerbeteiligung zur Stadtteilsanierung in der Nordstadt, als weitgehende Mitsprache- und Entscheidungskompetenzen an den Troppauer-Berg delegiert wurden.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, das ist kein wohlfeiles Reden, weil es im Schaufenster nett aussieht. Es ist die Ankündigung, dass ich bereit bin, mir als Oberbürgermeister das Leben schwer zu machen. Denn auch hier gilt – manches wird erstmal komplizierter, vielleicht auch strittiger. Ich halte es aber für unerlässlich, um den Gemeinsinn und die gemeinsame Verantwortung in und für unsere Stadt zu stärken. Und als jugendpolitischer Sprecher im Landtag und langjähriger Jugendarbeiter in dieser Stadt gehört an das Ende zu diesem Thema der Hinweis, dass ich mir dringend wünsche, dass solche Beteiligung nicht vor Kindern und Jugendlichen Halt macht. Was da wo die richtige Form ist, Jugendparlamente sind ja nur eine Spielart, darüber müssen wir reden. Aber es muss ganz selbstverständlich und verbindlich zu allen wichtigen Stadtentscheidungen das Einholen der Kinder und Jugendperspektive gehören. Dafür kann ich mir auch eine Art Ombudsstelle in der Verwaltung vorstellen, die Beteiligungsangebote immer wieder zu realisieren hat und die die Ergebnisse verbindlich in die Verwaltungsabläufe einspielt

Aber wo wollen wir mit all dem hin? Was soll durch Kooperation erreicht werden? Was gestalten wir mit viel Beteiligung? Wo möchte ich Gießen hingebracht haben, wenn ich in einigen Jahren als Oberbürgermeister zurückblicke? Die Leipzig Charte identifiziert drei Handlungsfelder, die dafür in den Blick zu nehmen sind. Es geht um die Dimension der gerechten Stadt, die Dimension der grünen Stadt im Sinne von nachhaltig, und die Dimension der produktiven Stadt. Davon lasse ich mich leiten, wenn ich jetzt drei Bilder male, wo ich mit Gießen gerne hinmöchte. In allen drei Bildern solle die gerechte, die nachhaltige und die produktive Stadt aufscheinen.

Gießen soll eine namhafte Kulturstadt Hessens mit Magnetwirkung werden!

Ja, wir haben eine wirklich breite Palette an Kunst und Kultur in dieser Stadt. Wenn man mal alle Einrichtungen und die freie Szene zusammenträgt, dann kann sich das sehen lassen. Deshalb wird es für einen Oberbürgermeister auch wichtig sein, den bitteren Folgen der Corona Einschränkungen für die Kulturszene in 2022 entgegen zu treten. Wir sollten Auftrittsmöglichkeiten in der Stadt auf kleinen Sonderbühnen schaffen, vielleicht brauchen wir einen Corona-Euro auf alle Eintrittskarten, um einen Fonds zu füllen, der den Neustart unterstützt. Wenn ich an Kunst und Kultur denke, denke ich auch an Teilhabe und niedrigschwellige Zugänge für alle Bürgerinnen und Bürger. Hier geht es um die gerechte Stadt und ich finde, unsere öffentlichen Plätze und Orte besonders reizvoll, um dort Kultur hinzutragen. Wie schön, dass unser Theater eintrittsfrei zur Sommermatinee auf der Picknick-Decke in den Park einlädt. Das ist der Weg den ich gehen will. (Schade nur, dass ich keine Karte mehr bekommen habe)

Wir werden die Kunst in unserer Stadt zur Inspiration für nachhaltige Lebensweisen brauchen. Sie selbst braucht Raum, um produktiv sein zu können und ich bin allen dankbar, die sich hier engagieren. Aber wieviel wirtschaftliche Produktivität eben auch in diesem Bereich steckt, geht oft vergessen und nicht zuletzt, welche große Bedeutung Gießen als Kunst und Kulturstandort für die Entwicklung unserer Innenstadt zukommt. Deshalb möchte ich aus dem Tollen, das es schon gibt und dem Neuen, das noch kreativ entsteht in dieser Stadt ein großes Ganzes wachsen lassen, das weit über unsere Stadt hinaus Strahlkraft entfaltet. Ich möchte Gießen zu einer ersten Kulturadresse in Hessen weiter entwickeln.

Gießen zeigt sich als Bildungs- und Wissensstadt

Ähnlich zur Kulturlandschaft haben wir in Gießen eine außerordentliche Stellung als Bildungs- und Wissensstadt. Und ich fange auch da gerne wieder bei den Kitas an, bzw. bei der weit vorangeschrittenen Entwicklung von Familienzentren. Mit frühkindlicher Bildung setzt auch die Frage nach der gerechten Stadt ein, nämlich nach einer bildungsgerechten Stadt. Manchmal stöhne ich als Landtagsabgeordneter, weil meine Kolleginnen und Kollegen so viele schöne Beispiele von schwach entwickelter Ganztagsbetreuung an Schulen vortragen können – und ich da aus der Reihe tanze, weil Astrid als Schuldezernentin so einen großartigen Job macht.

Wir sind in Gießen hochengagiert mit Bildungsträgern unterwegs, die jungen Menschen mit komplizierten Bildungsbiographien weiterhelfen. Wir haben zwei Hochschulen mit einer hervorragenden Reputation, ohne deren Studierende Gießen nicht wäre, was es ist. In all dem steckt viel Potential, uns als produktive und grün-nachhaltige Stadt weiter zu entwickeln. Das Know-how ist da. Wirtschaftsförderung in unserer Stadt muss auch bedeuten, diese Fachlichkeit vor Ort zu halten, neuen, jungen Firmen und Start-Ups gute Startchancen zu bieten. Im digitalen Zeitalter kommt dann eben so etwas wie der Makerspace mit seiner Maker-Space Akademie dabei heraus.

Und ich möchte auch unsere Universitäten noch mehr auf die Straße locken, in den öffentlichen Raum. Wie wäre es mit regelmäßigen kleine Lectures für alle auf dem Kirchenplatz – und man weiß nie, ob man nicht gerade jemanden gehört hat, der morgen weltweit diskutiert wird.

G wie Gießen – G wie gesund

Und mein drittes Bild ist ein großes G – G wie Gießen oder G wie gesund.

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Gäste,

aus der Corona Zeit werde ich auch die Erkenntnis mitnehmen, dass die Sorge um die Gesundheit keinen, aber wirklich gar keinen Lebensbereich unberührt lässt. Das verbindet uns alle – auch uns alle in dieser Stadt. Und zwar in einer Stadt, die sehr deutlich über das Thema Krankheit und Gesundheit wahrgenommen wird. Wenn ich im Vogelsberg unterwegs bin, treffe ich sehr viele Menschen, die eine Beziehung zu einem Gießener Klinikum oder Arzt haben. Aber wir haben in den letzten Wochen und Monaten am eigenen Leib erfahren, dass die Frage nach der Gesundheit weit früher anfängt. Die Menschen strömen zum Sport zurück in die Parks, die Bewegungsarmut der Kinder ist zum großen Problem geworden – Schule, Vereine, Schwimmbad, Spielmöglichkeiten – wir verhandeln hier immer auch unsere Gesundheit mit. Wir haben entdecken müssen, wie schnell schwierige Lebenssituationen die Psyche belasten und sehen wie der Bedarf das Angebot übersteigt.

Und wenn wir über die grün-nachhaltige Dimension der Stadtentwicklung sprechen, dann geht es doch auch hier im tiefsten um die Frage nach unserer Gesundheit. Umweltbelastung, Verkehrslärm, Ernährung, Parks als grüne Lungen – wir suchen die gesunde Zukunft, auch für unsere Kinder und Enkel.

Und das Thema berührt ganz offensichtlich auch die Frage nach der gerechten Stadt. Denn dass Gesundheit abhängig von sozialer Situation mehr oder weniger belastet ist, das wissen wir längst. Was ist mit Menschen ohne Krankenversicherung in unserer Stadt? Was ist mit den Flüchtlingskindern, die bei uns ankommen. Ja, ich spreche das ganz bewusst an!

Ich würde Gießen gerne zu der Stadt machen, in der gesund sein, gesund bleiben und gesund werden zu einem Leitmotiv wird. Wir haben auch hier viel Kompetenz in der Stadt – bundesweit anerkannter Standort der Ernährungswissenschaft, eine ausgeprägte medizinische Infrastruktur, Forschung und Firmen. Vielleicht sollten wir uns für Gießen eine große Gesundheitsmesse einladen oder ausdenken – in einem integrativen Ansatz, der all das zusammenbindet. Ich möchte Gießen in das „Gesunde Stadt-Netzwerk“ führen, zu dem der Landkreis übrigens schon gehört, und ich möchte im Austausch mit den Erfahrungen anderer daran arbeiten, dass man nach Gießen zieht, weil man da gesund leben kann, dass man nach Gießen kommt, weil es im Gesundheitsbereich gute Arbeitsplätze gibt – und gute muss auch gut bezahlte heißen. Gesundheit ist ein Thema das uns alle in allen Lebensbereichen berührt. Gesundheit ist ein starkes Thema, in dem sich Gießen als die gerechte, die grün nachhaltige und die produktive Stadt entwickeln kann.

Zusammengefasst

Gießen – wo will ich als Oberbürgermeister mit meiner Stadt hin. Gießen als Kulturstadt – Gießen als Bildungs- und Wissensstadt – Gießen, die gesunde Stadt

Dies drei Bilder locken mich, in Gießen als Oberbürgermeister das Steuer in die Hand zu nehmen.

Finanzen

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Gäste,

eine große Aufgabe für alle, die die Stadtgeschicke in den kommenden Jahren politisch verantworten, für alle, die Ziele formulieren, wie ich es mit diesen drei Bildern versucht habe, wird das Thema Geld sein. Und hier gilt es zu aller erst einmal festzuhalten, dass unsere Stadt mit Dietlind eine Oberbürgermeisterin hat, die den Stadthaushalt vorbildlich saniert hat, darüber kann auch das Greensill-Thema nicht hinwegtäuschen. In angespannter Haushaltslage ohne sozialpolitischen Kahlschlag aus dem Schutzschirm herauszuführen, war eine Meisterleistung.

Die zukünftige Aufgabe ist nicht viel kleiner. Die Abrechnung in den Kassen nach Corona steht noch aus und die tendenzielle Unterfinanzierung der Städte und Kommunen durch das Land, angesichts der Aufgaben vor Ort, hat Bestand. Auch das schreibe ich mir auf den Aufgabenkatalog, gemeinsam in der kommunalen Familie um genug Geld zu streiten. Denn wenn ich sehen muss, dass die Gewerbesteuer aus unseren Kommunen, die 30 Jahre lang als Solidaritätszahlung in den Aufbau Ost ging, nach dem Ende dieser Zahlung den Weg zum größten Teil nur zurück bis nach Wiesbaden schafft, um dort in einer Heimatumlage zu landen, dann sehe ich, dass das Oberbürgermeisteramt auch ein Wächteramt für die kommunalen Interessen ist.

Das Aufgabenfeld ist groß.  Wie sehr die Entwicklung unserer Innenstadt als lebendiger Handels- und Einkaufsort Ideen, Geld und Aufmerksamkeit braucht, sollte deutlich geworden sein. Die letzten Meldungen zur Belegung in im Seltersweg sind ermutigend. Aber wir werden hier weiter gefordert sein. Und der Blick muss weiterreichen. Denn zum Gesamtbild Gießens gehört mehr.

Gießens große Tradition der sozialen Stadtentwicklung

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, liebe Gäste,

die Geschichte der sozialen Stadtentwicklung ist für mich eine große wichtige Traditionslinie unserer Stadt, ein Markenzeichen und ein Qualitätssiegel. Angefangen in den 70ern mit der Initiativgruppe Eulenkopf, wo der Name Horst Eberhard-Richter hingehört, ist aus der reinen Gemeinwesenarbeit eine Quartiersentwicklung mit städtebaulichen Perspektiven geworden, deren Ergebnisse man in der Margaretenhütte, die Nordstadt oder mit dem Projekt Rotklinkersiedlung in der Weststadt sehen kann. Immer ging und geht es darum, sich um sozial gerechte Wohn- und Lebensverhältnisse in einem ganz umfassenden Sinn zu kümmern. Ich finde wir können stolz sein, was in diesen Quartieren nicht zuletzt mit sozialdemokratischer Handschrift erreicht worden ist. Mit den Menschen vor Ort diese Quartiere immer wieder weiter zu entwickeln, das gehört für mich unaufgebbar auf den Radarschirm eines Oberbürgermeisters. Das meint die Leipzig Charte mit „gerechter Stadt“ und daran muss sich eine Stadt messen lassen, wenn sie sich für die Zukunft aufstellt.

Gießen – eine Stadt mit Stadtteilen

Aber der Blick muss in gießen dann räumlich auch noch weitergehen. Denn mit Lützelinden, Allendorf, Rödgen, Kleinlinden und Wieseck gehören Stadtteile mit ganz eigenem Charakter zur Stadt dazu. Sie nötigen uns ab, den Blick über den Innenstädtischen Rand hinaus zu werfen. Sie machen die Fragen nach einem guten ÖPNV in der Region konkret. Hier stellen sich die Fragen nach einer guten Infrastruktur noch einmal anders. Auch hier müssen Ladestationen für E-Mobilität mitgedacht werden. Und daran wird sofort deutlich, wie sehr wir mit unserem Landkreis verbunden sind und wir Stadtpolitik in diesem weiteren Kontext sehen und diskutieren müssen, nicht nur, aber auch, bei der Frage nach der Erschließung von Gewerbeflächen. Und da wäre es einfach großartig, wenn ich als Oberbürgermeister mit unserer Landrätin Anita Schneider auch nach dem 26. September ein so starkes und kompetentes Gegenüber hätte. Lasst uns bitte auch dafür alles tun!

Städteregion Gießen-Wetzlar-Marburg

Für die Zukunft Gießens wird darüber hinaus dem Städteverbund Gießen-Wetzlar-Marburg und seiner Stellung in der Rhein-Main Region eine wichtige Bedeutung zukommen. Hier gilt es die Fäden weiter zu spinnen – gute Nahverkehrsverbindungen, Verknüpfung von Tourismuskonzepten, Zusammenwirkung in Forschung und Gründungsansiedlung oder gemeinsame Strategien für den Ausbildungsmarkt um nur ein paar Beispiele zu nenne. Auch hier wird Kooperation das Schlüsselwort sein, um die Region gemeinsam zu stärken. Dafür stehe ich!

Auf dem Weg zu einer Stadtregierung

Als ich meine Kandidatur zugesagt habe, hatten wir noch kein Kommunalwahlergebnis – man könnte sagen, ich habe die Katze im Sack gekauft. Inzwischen ist die Katze zu sehen. Der Koalitionsvertrag steht und mit ihm zeichnet sich für mich eine sehr gute Grundlage ab, um als Oberbürgermeister kreativ gestalten zu können, um unsere Stadt gerecht, grün-nachhaltig und produktiv aufzustellen. Die Frage, wie sehr segelt man mit Wind im Rücken oder muss gegen den Wind kreuzen, ist ja nicht unerheblich für ein solches Amt. Ich bin sehr zuversichtlich gestimmt, dass wir da miteinander gut Fahrt aufnehmen können und kooperativ arbeiten können. Und es sollte klargeworden sein, dass das, was ich als kooperativ beschreibe, nicht an den Koalitionsgrenzen Halt machen wird. Noch einmal: es gilt, in diesem Amt zuerst die Bürger und Bürgerinneninteressen, die Stadtinteressen zu profilieren.

Miteinander teilen – mein politischer und mein persönlicher Leitfaden zum Abschluss

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, verehrte Gäste,

wenn wir miteinander teilen, sind wir am Ende alle reicher. So möchte ich zum Schluss meiner Rede meinen politischen und meinen persönlichen Leitfaden beschreiben. Wir sollten die vielen guten Ideen miteinander teilen, die in dieser Stadt unterwegs sind und die wir brauchen, um Verkehrsversuche erfolgreich durchzuführen, um unsere Stadt barrierefreier zu gestalten, um allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu ermöglichen, um unsere Innenstadt als flotten Handelsort zu erhalten. Wir sollten den Raum in dieser Stadt gut miteinander teilen, den Verkehrsraum zwischen Fußgängern, Radfahrern, ÖPNV und Individualverkehr – den Freizeitraum zwischen Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und älteren Menschen, wir sollten den Wohnraum so miteinander teilen, dass er für alle bezahlbar ist. Wir sollten Zeit und Ehrenamt miteinander und füreinander teilen, weil eine Stadtgesellschaft davon lebt, dass wir uns umeinander kümmern. Miteinander Teilen verlangt manchmal zurückstehen und abgeben, oft genug jedoch bedeutet es etwas zu bekommen und bereichert zu werden. Das soll der Pulsschlag unserer Stadt sein. Das ist die Kultur, die ich mir vorstelle.

Und ich halte es mit meiner Kandidatur genauso. Ich möchte Oberbürgermeister von Gießen werden, weil ich mit meiner Stadt etwas teilen möchte – meine Leidenschaft für Gießen, meine Ideen für Gießen, meine Lebens- und meine Berufserfahrungen. Wer mich kennt, weiß um meine Begeisterungsfähigkeit, aber auch um meine Sorgfalt, viele mitzunehmen und trotzdem an ein Ziel zu kommen. Gießen soll am 26. September entscheiden, ob sie dieser Mischung das Oberbürgermeisteramt anvertrauen wollen – ob sie es mir anvertrauen will. Ich wäre bereit. Ich bitte Euch, mich heute für das Amt zu nominieren.